Abstract
- Der Prozess des orthogonalen Drehfräsens ermöglicht eine hohe Produktivität, eine hohe geometrische Flexibilität hinsichtlich erzeugbarer Mantelflächenformen, einen gesicherten Spanbruch sowie die Herstellung drallfreier Oberflächen. Die derzeit erreichbare Form- und Maßgenauigkeit sowie Oberflächenqualität, die mit diesem Verfahren erzielt werden können, lässt bei Bauteilen mit hohen konstruktiven Anforderungen keine Substitution des etablierten Rundschleifprozesses zu. Das dynamische Verhalten der Prozesskräfte und der differente Schneidkantenverschleiß entlang der im Eingriff befindlichen Schneidkante sind die Haupteinflussgrößen für Geradheitsfehler der Mantellinie und damit verantwortlich für Abweichungen von der gewünschten Bauteilgeometrie. Durch die Lokalisierung des Spanprozesses auf die Stirnschneide können die Eingriffsverhältnisse und die auftretenden Prozesskräfte beim orthogonalen Drehfräsen exakt bestimmt und prozessspezifische Werkzeuggeometrien mithilfe des entwickelten Prozessmodells abgeleitet werden. Das Ziel der Untersuchungen war die Entwicklung einer Prozessstrategie zur Reduktion von Geometrieabweichungen zylindrischer Bauteile durch einen robusten Prozess des exzentrisch-orthogonalen Drehfräsens ohne Axialvorschub. Dadurch lassen sich ökonomische und ökologische Vorteile hinsichtlich einer Substitution der Rundschleifbearbeitung durch die Komplettbearbeitung komplexer Bauteile in Dreh-Fräsbearbeitungszentren erzielen. Aus dem Stand der Forschung und Technik ist bekannt, dass beim orthogonalen Drehfräsen prozessbedingte Gestaltabweichungen erster bis vierter Ordnung an der Werkstückmantelfläche auftreten können. In Abhängigkeit von den konstruktiv geforderten Toleranzen bei Bauteilen mit zylindrischen und konvex gekrümmten Mantelflächen, kann die prozesssichere Anwendung des orthogonalen Drehfräsens derzeit der Schrupp- und Vorschlichtbearbeitung zugeordnet werden. Ergebnisse zur prozesssicheren Substitution der Außenrundschleifbearbeitung durch orthogonales Drehfräsen wurden bislang nicht veröffentlicht. Daraus leitete sich die Forschungsfrage ab, ob eine Fertigbearbeitung von zylindrischen Mantelflächen durch orthogonales Drehfräsen, die bisher toleranzbedingt spanenden Verfahren mit geometrisch unbestimmter Schneide vorbehalten blieb, grundsätzlich möglich ist. Desweiteren leiteten sich auch Forschungsfragen zu den genauen Ursachen und der Beeinflussbarkeit dieser prozessbedingten Gestaltabweichungen beim orthogonalen Drehfräsen ab. Ein erstes Ziel dieser Arbeit war die Herleitung und Systematisierung der technologischen Grundlagen des Verfahrens orthogonales Drehfräsen, um den Stirnschneideneingriff, der die finale Mantelfläche erzeugt, mathematisch beschreiben zu können. Abgrenzend zum Stand der Technik wurde ein neuartiges Prozessmodell zur Schlichtbearbeitung zylindrischer Mantelflächen durch orthogonales Drehfräsen ohne Axialvorschub vorgestellt, das eine geometrische Ableitung aller technologischen Parameter auf Basis der Werkstückgeometrie (Mantellinienbreite und Durchmesser) ermöglicht. Das umfasst die Spezifikation der Werkzeuggeometrie und die Bestimmung sämtlicher Einstellgrößen im Prozess. Desweiteren erlaubt dieses Modell eine genaue Bestimmung der Fehlereinflüsse auf die resultierende Zylindrizität der Mantelfläche. Ein weiteres Ziel der Arbeit war die Verifikation des Prozessmodells durch empirische Untersuchungen an Proben mit zylindrischen Mantelflächen mithilfe von Prozesskraftmessungen. Dabei sollte das dynamische Verhalten der Prozesskräfte durch den variierenden Stirnschneideneingriff nachgewiesen werden. Anschließend erfolgte ein empirischer Nachweis zur Verringerung der Prozesskraftdynamik, um steifigkeitsbedingte Fehlereinflüsse durch ungewollte Relativbewegungen zwischen Schneide und Werkstückmantellinie kompensieren zu können. Da sich entlang der Schneidkante beim orthogonalen Drehfräsen differente Verschleißzustände ausbilden, wurde in empirischen Untersuchungen der Schneidkantenverschleiß über den Standweg dokumentiert und ausgewertet. Damit konnten der Verschleißeinfluss des Belastungskollektivs sämtlicher Spanungsparameter in diskreten Abständen entlang der Schneidkante ermittelt und die Ableitung des mechanisch haltbaren Optimums für jeden Schneidenbereich im arbeitsscharfen Zustand ermöglicht werden. Auf Grundlage des entwickelten Prozessmodells zum orthogonalen Drehfräsen wurde auch eine darauf angepasste Prozessstrategie vorgestellt, mit der die Bewegungen für die Zustellung, den Vorschub und den Rückzug des Werkzeuges relativ zur Werkstückmantelfläche definiert wurden. Diese Bewegungen verursachen stets Unstetigkeiten im Prozess, die einen maßgeblichen Einfluss auf den resultierenden Rundheitsfehler an der Werkstückmantelfläche haben. Die Prozessstrategie ermöglichte eine Minimierung steifigkeitsbedingter Fehlereinflüsse auf die Rundheit und damit auf die resultierende Zylindrizität der Werkstückmantelfläche.